1000 Gründe für diese Übelkeit

1000 Gründe für diese Übelkeit
Warum ist mir so schlecht?

„Schatz, was ist los? Willst du heute gar nicht aufstehen? Geht´s dir so schlecht?“ Es ist Mitte Oktober. Seit über 2 Wochen pendele ich nur noch zwischen Couch und Bett. Die Übelkeit, die in den letzten Wochen immer wieder hoch kam, hat mittlerweile einen neuen Höhepunkt erreicht. Meine Therapien habe ich erstmal alle abgesagt. Im Moment habe ich genug damit zu tun, irgendetwas an Nahrung und Flüssigkeit bei mir zu behalten.

Reden? Kaum möglich – zu groß ist die Befürchtung, mich wieder übergeben zu müssen, sobald ich den Mund aufmache. Oder sobald ich mich umdrehe. Oder den Kopf hebe. Davon, was passiert, wenn ich etwas trinke, oder gar versuche etwas zu essen, will ich gar nicht erst anfangen.

Irgendwann beschließt der besorgte Mann, dass er sich das jetzt lange genug angeschaut hat. Ihm ist klar, dass er mich in diesem Zustand weder aus dem Bett, noch in Klamotten, geschweige denn in eine Arztpraxis bekommt. Also kommt der Arzt zu mir.

Ich erinnere mich an meine letzte Magenschleimhautentzündung von vor vielen Jahren. Übergeben hatte ich mich damals nicht, aber ich weiß noch, dass das eine langwierige Sache war. Da werde ich wohl auf die verschriebenen Säureblocker, auf Schonkost und auf die Zeit vertrauen müssen, die das Ganze wieder richten wird.

Vielleicht sollte ich doch...

4 Wochen später beschließe ich, eine Zweitmeinung einzuholen. Es ist nicht permanent gleich schlecht, aber im Großen und Ganzen hat sich mein Zustand nicht wirklich gebessert. Ich versuche den Alltag so normal wie möglich zu gestalten. Zwischen plötzlichen Spei-Attacken und extremer Müdigkeit ist das allerdings gar nicht so einfach. Außerdem will ich irgendwann auch mal wieder was anderes essen als Zwieback, Salzstangen und trockene Kartoffeln.

Der Hausarzt schreibt mir eine Überweisung. Der Gastroenterologe wiederholt erstmal den Verdacht der Magenschleimhautentzündung. Um sicher zu gehen, will er sich das Ganze aber gerne noch von innen ansehen. Ich kann jetzt nicht behaupten, dass ich wahnsinnig scharf auf eine Magenspiegelung bin, aber ich will natürlich auch wissen, was los ist. Und möglicherweise hängen meine aktuellen Beschwerden ja auch mit meiner Grunderkrankung zusammen und man gewinnt dadurch jetzt vielleicht neue Erkenntnisse.

Ihr denkt, ich hab die Hosen voll und mache deshalb einen Rückzieher? Falsch gedacht. Es ist zwar richtig, dass ich es bin, die den Termin absagt, aber den Grund werdet ihr nicht erraten. Oder vielleicht doch?

Überraschung!

Mein heutiger Arztbesuch hat nichts mit meinen aktuellen Beschwerden zu tun. Zumindest nicht direkt. Allerdings ist genau dieser Termin Schuld daran, dass ich morgen früh das Telefon in die Hand nehmen werde, um dem Gastroenterologen einen Korb für die geplante Gastroskopie zu verpassen. Warum? Ganz einfach: weil ich jetzt weiß, dass er die Ursache für meine Übelkeit nicht in meinem Magen finden wird.

Ob der Ärztin meine feucht glänzenden Augen aufgefallen sind?

Denn da ist es.

Auf dem schwarz/weißen Bildschirm.

Unverkennbar.

Ein kleiner Körper. Ein kleines pochendes Herz, das in seinem eigenen Rhythmus vor sich hin schlägt.

Ein Baby? Ein Baby! In mir wächst tatsächlich gerade neues Leben heran.

Ultraschallbild vom Baby

Welche Ärztin eigentlich? Ach so, das hatte ich ja gar nicht erwähnt. Ich bin gerade bei meiner Gynäkologin.

Am Ende passt alles zusammen

Es wird noch 2-3 Wochen dauern, bis sowohl Übelkeit als auch extreme Müdigkeit ganz verschwunden sein werden. Aber irgendwie ist es jetzt schon viel besser zu ertragen. Obwohl es natürlich trotzdem nicht toll ist, permanent unvorbereitet von einem sich nach oben entleerenden Magen überrascht zu werden. Und in jeder Tasche und jeder Ecke des Rollstuhls einen Spuckbeutel mit sich zu schleppen, in der Hoffnung den dann auch jedes Mal schnell genug zücken zu können.

Realisiert habe ich das immer noch nicht.

Lasst uns mal überlegen. Was sind typische Schwangerschaftssymptome?

  • Über die Übelkeit brauchen wir an dieser Stelle wohl nicht mehr zu reden. Die hätte ja auch andere Gründe haben können.
  • Ebenso wie das übermäßige Schlafbedürfnis.
  • Ob ich nicht gemerkt habe, dass meine Regelblutung ausgeblieben ist? Wäre das komplett so gewesen, ließe sich das in der Tat wohl schwer ignorieren. Im Alter von 37 lassen sich unregelmäßige Blutungen dann aber doch auch einfach mit dem möglichen Beginn der Wechseljahre erklären.

Was noch…?

  • Veränderter Ausfluss? –> weiß ich nicht
  • Brustspannen/-schwellung/-kribbeln? –> hab ich nicht
  • Verfärbung der Brustwarzen? –> Fehlanzeige
  • Häufiger Harndrang? –> nichts ungewöhnliches bei mir
  • Empfindlichkeit gegenüber Gerüchen? –> Nein
  • Stimmungsschwankungen? –> nicht mehr als sonst
  • Meine instinktive Entscheidung, meine regelmäßig eingenommenen Schmerzmedikamente erst radikal zu reduzieren, um sie dann gar nicht mehr zu nehmen, kann ich im Nachhinein nicht mehr rational erklären. Eigentlich getrieben von dem Gedanken, dass ich meinen Magen eine Zeit lang schonen wollte, bin ich aus jetziger Sicht davon überzeugt, dass ich da schon fremdgesteuert war und dass diese intuitive Maßnahme von dem Baby beeinflusst worden ist.
  • Ungewöhnliche Gelüste? –> Ääääh, naja. Rückblickend betrachtet könnte mein Fischbrötchen-Frühstück Ende September wohl schon als ungewöhnlich bezeichnet werden. Da einem die Gewohnheiten der Freunde, die man viel zu selten sieht, leider nicht immer so geläufig sind, hat meine Freundin sich dabei allerdings nichts gedacht. Und ich selbst? Keine Ahnung. Manche Dinge fallen einem tatsächlich erst aus der Retrospektive auf.
  • Wo sie allerdings hätte aufmerksam werden müssen, war die Tatsache, dass ich nach einem halben Glas Wein am Abend die Waffen gestreckt habe, weil ich mich irgendwie davor geekelt habe. Andere alleine trinken zu lassen, gehört eher nicht zu meinen Gewohnheiten. Andererseits hatte ich da schon „Magenprobleme“, die als Erklärung für das Ablehnen alkoholischer Getränke eigentlich ausreichen sollten.
  • Und was ist mit anderen? Ärzte? Bekannte? Tja, offensichtlich passen Baby und Frau im Rollstuhl in den Köpfen der Menschen immer noch nicht so richtig zusammen. Dass das eine eher ungewöhnliche Kombination ist, ok. Dass es allerdings eine schier unmögliche Vorstellung zu sein scheint, hätte ich nicht gedacht. Wenn ich an meine gesunde Vor-Rollstuhl-Ära denke, erinnere ich zahlreiche Situationen, in denen routinemäßig gefragt wurde, ob eine Schwangerschaft ausgeschlossen sei. Und jetzt liegt das so im Bereich des Unvorstellbaren, dass nicht mal mehr die Möglichkeit in Betracht gezogen wird? Lassen wir das mal so stehen. Ihr könnt ja selbst mal versuchen darüber nachzudenken, ob ihr einen Menschen im Rollstuhl absolut neutral bewertet oder ob ihr trotz Bemühungen unwillentlich und automatisch Unterschiede macht. Versucht euch mal ehrlich die Frage zu beantworten, wie oft ihr anderen etwas nicht zutraut, nur weil es nicht ins Bild passt.

EIn Baby!

Alles in Allem gab es wahrscheinlich schon das ein oder andere Indiz für eine Schwangerschaft. Aber menschliche Gehirne sind so komplex und faszinierend, dass sie aus den verschiedensten Gründen Verdrängungsmechanismen in Gang setzen.

Aus heutiger Sicht ist es für mich nicht mehr nachzuvollziehen, dass ich nicht von Anfang an gemerkt habe, was da in meinem Körper gerade wundervolles vor sich geht.

Ich bin jedenfalls voller freudiger Erwartung auf das, was kommt. Auf etwas, was sich eigentlich schon aus meinem Blickfeld der realistischen Zukunftsmöglichkeiten verabschiedet hatte.

Auch wenn jetzt ein paar besondere Herausforderungen vor uns liegen, die selbstverständlich auch kleine Ängstchen in uns hervorrufen dürfen, so sind wir doch in allererster Linie gerade werdende Eltern, die sich darauf freuen, ihr Baby bald kennenzulernen. Und die darauf vertrauen, eine komplikationslose Schwangerschaft vor sich zu haben, die sie genießen können und an deren Ende sie ein gesundes Kind in den Armen halten werden.

Diesen Beitrag hier habe ich absichtlich keiner Kategorie zugeordnet. Ich dachte, das erhält ein klein wenig die Spannung. Mittlerweile gibt es aber eine neue Rubrik. Eine, in die dann alles passen wird, was nicht alleine mit meiner chronischen Erkrankung zu tun hat, sondern mit meiner Erkrankung im Zusammenhang mit meiner neuen Herausforderung als Schwangere bzw. Mama im Rollstuhl.

Wenn euch das interessiert, dann lest doch meinen ersten Artikel der neuen Kategorie: „Behindert und trotzdem schwanger„.

2 thoughts on “1000 Gründe für diese Übelkeit

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