Behindert und trotzdem schwanger

Behindert und trotzdem schwanger

Schwanger im Rollstuhl – Geht das?

Seit meinem letzten Beitrag „1000 Gründe für diese Übelkeit“ wisst ihr ja nun, dass ich schwanger bin.

Wie es ist, schwanger zu sein und im Rollstuhl zu sitzen? Ich würde mal schätzen: nicht wirklich viel anders als schwanger zu sein und nicht im Rollstuhl zu sitzen. Zumindest aus der emotionalen Sicht einer werdenden Mutter. Ganz so banal kann man diese Frage natürlich dann doch nicht beantworten. Denn selbstverständlich gibt es ein paar Unterschiede.

Vorurteile

Gegen Vorurteile von außen wird wohl jeder in irgendeiner Art und Weise zu kämpfen haben. Sei es, weil ein Kind nicht bei unverheirateten Eltern aufwachsen sollte, oder bei gleichgeschlechtlichen Eltern. Oder nicht in einer Großstadt. Oder auf dem Land. Sei es, weil es Menschen gibt, die der Meinung sind, dass Familien nicht mehr als 3 Kinder haben dürfen. Oder ihrer Ansicht nach ein Mindesteinkommen vorweisen müssten. Oder, oder, oder.

Bei mir ist es eben die Schublade, in der es scheinbar undenkbar ist, als körperlich eingeschränkter Mensch die Verantwortung für ein anderes, kleines Lebewesen übernehmen zu können. Das Denken derer, die fester Überzeugung sind, es sei verantwortungslos als selbst hilfebedürftiger Mensch, Leben in die Welt zu setzen.

Die wenigsten äußern solche Bedenken übrigens laut. Entweder werden diese Themen komplett totgeschwiegen und die stumme Kritik findet lediglich in den Köpfen der Menschen statt. Oder aber es wird sehr wohl darüber geredet. Dann aber immer schön hinter dem Rücken derer, die es betrifft. So dass man gar nicht erst in die Situation kommt, sich das Ganze aus der Sicht der werdenden Eltern anzuhören und sie möglicherweise sogar (teilweise) zu verstehen. Dann liefe man ja Gefahr, die eigenen – teils festgefahrenen Betrachtungsweisen – am Ende aus Versehen anzupassen.

Problem Offenheit

Am Anfang hatte ich ehrlich gesagt Probleme damit, gerade heraus kritisiert zu werden. In solch einer hormonellen Ausnahmeverfassung will sich schließlich niemand die unbeschwerte Baby-Vorfreude verderben lassen.

Ich erwarte bei weitem nicht von jedem Begeisterungsstürme à la „Waaaaaaas? Du bist schwanger? Oh mein Gott! Wie toll! Ich freue mich so für euch!“ Aber trotzdem glaube ich, dass es völlig normal ist, wenn man in dem Zustand irgendwie auch etwas Zuspruch erwartet. Man will seine Freude doch teilen, und man will, dass andere sich mit einem freuen. Und dass nicht immer nur die Behinderung im Vordergrund steht. Probleme und zu überwindende Hindernisse wird es noch genug geben. Darüber sind wir uns selbstverständlich im Klaren.

Problem Diskretion

Das andere Extrem repräsentieren die, die sich gar nicht trauen das Thema anzusprechen. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass der ein oder andere nicht so richtig weiß, wie er damit umgehen soll und das Thema deshalb lieber weiträumig umschifft.

Aber verzeiht mir, wenn ich mich dem Amüsement darüber hingebe, dass es Menschen gibt, denen das Thema so unangenehm ist, dass sie es schaffen, die Schwangerschaft sogar dann noch stoisch zu ignorieren, wenn ich ihnen meinen nicht zu übersehenden 9-Monats-Bauch direkt ins Gesicht strecke.

Oder wenn ich darüber lache, dass diese Leute es schaffen, das von mir direkt angesprochene Thema demonstrativ übergehen. Dann wird das Gespräch schnellstmöglich in eine andere Richtung gelenkt. Wenn ich mir dann auch noch den Spaß erlaube, die Richtung wieder zurück zu ändern, wird schonmal Reißaus genommen, weil man sich in die Ecke gedrängt fühlt, und weil die Angst zu groß wird, tatsächlich etwas dazu sagen zu müssen.

Die Mischung macht´s!

Also, was denn nun? Unverblümtheit oder Verhaltenheit? Ich würde sagen, wie in jeder anderen Situation tut man auch hier nicht schlecht daran, von beidem etwas an den Tag zu legen. Ein bisschen Fingerspitzengefühl dafür, was wann angemessen ist, kann natürlich nicht schaden.

Mittlerweile weiß ich die seltene Geradlinigkeit zwar zu schätzen, ein eindeutiges Zuviel davon zeigt allerdings folgendes Beispiel: Man versetze sich in die Lage einer Frau, die bereits nach wenigen Wochen Vorfreude aufs Mutterdasein, den alles verändernden Satz hört: „Tut mir leid, aber es ist kein Herzschlag mehr festzustellen.“ Hier ist der Kommentar: „Ist ja auch besser so, wie hättest DU denn mit einem Kind zurechtkommen wollen?“ definitiv unangebracht. Und zwar vollkommen unabhängig davon, ob jemand durch eine chronische Erkrankung gehandicapt ist oder nicht.

Scheiß auf die Vorurteile!

Nein, bin ich nicht. Wenn es Eigenschaften gibt, die auf mich NICHT zutreffen, dann sind das Gedankenlosigkeit, Verantwortungslosigkeit und Leichtfertigkeit.

Soll ich euch was verraten? Wie die meisten aller Vorurteile, entbehren auch die, mit denen ich mich auseinanderzusetzen habe, jeder Grundlage. Ist nicht sowieso jede Schwangerschaft anders? Ist nicht ohnehin jeder Mensch verschieden? Jeder mit seinen Schwierigkeiten und Besonderheiten? Und deshalb auch jede Situation, in der ein neues Leben heranwächst? Vollkommen egal, ob ein Elternteil gesundheitlich beeinträchtigt ist oder nicht.

Ich bin mir sicher, dass meine Behinderung mich nicht daran hindern wird, eine gute Mutter zu sein. Mein moralischer Kompass funktioniert einwandfrei. Unser Kind wird Eltern haben, die eine realistische Vorstellung davon haben, was ein Kind braucht, um behütet und geliebt zu einem anständigen und selbstständigen Menschen erzogen zu werden.

Wenn wir es als Eltern schaffen, unserem kleinen Wunder unser eigenes klares Wertesystem zu vermitteln, hat es schon mehr gewonnen als ein Großteil derer, die in eine – auf den ersten Blick – perfekte, handicapfreie Familie hineingeboren werden.

Kleine bis größere Problemchen

Wenn ihr Angst habt, dass ich hier jetzt sämtliche Schwangerschafts-Wehwehchen aufliste und Tipps, wie man am besten damit umgeht, kann ich euch beruhigen. Dazu gibt es unzählige Websites, Apps, Ratgeber, usw., die das vermutlich besser können als ich.

Was diese nicht können, ist ein paar spezifische Schwierigkeiten aufzuzeigen, die ihr als Schwangere nicht auf dem Schirm habt, wenn ihr nicht auf einen Rollstuhl angewiesen seid. Oder von einer erheblich einschränkenden Erkrankung oder Behinderung betroffen seid.

Bekannt ist, dass mit fortschreitender Schwangerschaft das Liegen und Schlafen nicht mehr so unproblematisch ist, wie vorher. Der wachsende Bauch und die sich lockernden Sehnen, Bänder und Gelenkverbindungen sorgen dafür, dass man nicht mehr schmerzfrei lange in einer Position verharren kann. Das macht zahlreiche Positionswechsel und häufiges Umdrehen erforderlich.

Ein Problem, das ich tatsächlich stark unterschätzt habe. Die fehlende Kraft im Zusammenspiel mit den zusätzlichen Kilos, dem vergrößerten Körpervolumen und den weniger flexiblen möglichen Bewegungsmustern, fördert schonmal lustige Situationen zu Tage. Dabei erinnert der Anblick wohl eher an einen auf dem Rücken zappelnden Maikäfer, der es trotz aller Anstrengung nicht aus eigener Kraft schafft, sich aus der Misere zu befreien.

Wie oft sowas vorkommt? Ständig! Denn kaum hat man eine einigermaßen angenehme Stellung gefunden, muss man damit rechnen, dass man sie in 15 Minuten wieder ändern muss, weil irgendwo was drückt oder zwickt. Oder weil man – wie sowieso permanent – aufs Klo muss.

Was zu Hause vielleicht einfach nur nervig ist, kann unterwegs gerne mal zu einem echten Problem werden. Da ist man dann schon mal auf die ein oder andere unschöne Toilettenanlage angewiesen.

Mangelware Toiletten: Ihr seid schwanger und denkt, Toiletten generell sind Mangelware da draußen in der Welt? Dann lasst euch mal einen einzigen Tag darauf ein, nur behindertengerechte Toiletten zu benutzen. Ihr werdet den Luxus des Vorhandenseins irgendeines WCs für immer zu schätzen wissen. Völlig egal, in welchem Zustand es sich befindet.

Nicht praktikable Notlösungen: Ihr musstet sicher auch schonmal auf Notlösungen zurückgreifen. Was aber, wenn die bei euch funktionierenden Behelfsmaßnahmen für andere nicht praktikabel sind?

Wenn man beim Spaziergang im Wald beispielsweise nicht mal eben schnell hinter einem Baum verschwinden kann? Oder sich das Badezimmer der Bekannten, bei denen man kurzerhand klingeln könnte, im oberen Stockwerk befindet? Wenn Hochtragen keine Option mehr ist, weil sich zwischen Huckepack und Rücken eine dicke Kugel schiebt. Und weil der Mann kein Bodybuilder ist, der vorne auf seinen Armen unendlich viel Gewicht tragen kann?

Tja, darauf hätte ich auch gerne eine Antwort. Außer Notfall-Toiletten/Einweg-Urinbeutel für unterwegs ist mir nichts eingefallen. Jedenfalls nicht, wenn man die Möglichkeiten einer Windel oder eines Blasenkatheters ausblendet.

Kraftakt Aufstehen: Habe ich oben wirklich geschrieben, dass das Thema „ständiger Harndrang“ zu Hause nur nervig ist? Manchmal untertreibe ich einfach gerne. Ich führe das jetzt nicht ausführlich aus, aber überlegt mal, wie es wäre, wenn das Aufstehen von der Couch im unschwangeren Zustand schon ein kaum zu bewältigender Kraftakt war. Dann packt ihr auf die Anzahl eurer durchschnittlichen Toilettengänge pro Tag nochmal das 5-fache obendrauf. Und dann versucht eine Vorstellung davon zu bekommen, wie viel kostbare Kraft an einem einzigen Tag zusätzlich benötigt wird, nur weil man ein paar Mal öfter aufs Klo muss.

Gegen Rückenschmerzen in der Schwangerschaft wird immer wieder sanfte Bewegung und Sport empfohlen. Doof ist es halt, wenn man in den Bewegungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist. Denn nicht praktizierbare Bewegung hilft dann irgendwie nicht mehr so gut.

Chronische Erkrankungen gehen nicht selten mit chronischen Schmerzen einher, welche oft mit einer Dauermedikation behandelt werden. Nicht jeder wird das Glück haben, dank Kombination aus Schwangerschaftshormonen und heruntergefahrenem Immunsystem vorübergehend von einem insgesamt stark verminderten Schmerzlevel zu profitieren. Die Tatsache, dass für das ungeborene Baby im Bauch nicht alle Schmerzmittel unbedenklich sind, kann deshalb zu einer großen Herausforderung werden. Hier müssen die verschiedenen Optionen dann zwingend mit den behandelnden Ärzten gemeinsam abgewogen werden.

Die Gefahr einer Thrombose ist in der Schwangerschaft generell schon um ein Vielfaches erhöht. Kommt dann noch die Immobilität hinzu, die ein Leben mit eingeschränkter Beweglichkeit und Rollstuhl nun mal so mit sich bringt, soll es nicht verwunderlich sein, wenn ein Experte für Hämostaseologie für die Dauer der Schwangerschaft und ein paar Wochen darüber hinaus, vorsorglich Spritzen zur Blutverdünnung verordnet.

Heißt konkret: eine fertig vorbereitete Spritze in den Bauch oder Oberschenkel pro Tag. Ob die 2-3 zusätzlichen Minuten der Morgenroutine überhaupt die Erwähnung wert sind und ob man das wirklich als Einschränkung betrachten kann, muss wohl jeder für sich entscheiden.

Schwanger im Rollstuhl – Warum nicht!

Soweit zu meinen Erfahrungen im Gebiet „Behindert und trotzdem schwanger„. Lasst mich raten… das Thema hat gar nicht so viel hergegeben wie ihr vielleicht erwartet habt? Nun ja, im Grunde bin ich einfach nur eine (chronisch kranke) werdende Mutter, die ihre Schwangerschaft genießt.

Was das Leben mit Baby nach der Schwangerschaft angeht, wird es sicherlich ein paar mehr Herausforderungen geben, die sich von denen anderer unterscheiden. Bald nehme ich euch beispielsweise mit auf die Suche nach einem geeigneten Kinderwagen. Was bei der Masse verschiedener, angebotener Modelle auch ohne Rollstuhl schon eine ordentliche Herausforderung sein kann.

Ich bin bei Weitem nicht die erste und ich werde auch nicht die letzte Mama im Rollstuhl sein. Es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten, Unterstützung zu bekommen, man muss sie nur auch annehmen. Dank Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern (bbe e.V.) konnte ich zum Beispiel wichtige Informationen zur Möglichkeit einer Elternassistenz sammeln. Der Verein hat sich der Thematik verschrieben, dass in Deutschland jeder das Recht auf ein selbst bestimmtes Leben hat, wozu eben auch das Recht auf Elternschaft gehört.

Ob und in welchem Umfang wir diese gesetzlich verankerte Hilfe brauchen und nutzen werden, wird sich zeigen. Ich finde es auf jeden Fall wichtig, sich den Möglichkeiten nicht zu verschließen. Schließlich wollen wir unserem Kind – wie jeder andere auch – gute Eltern sein. Und diese Eltern-Kind-Beziehung soll nicht durch Barrieren belastet werden, die umgangen werden können.

Und nun meine 2 letzten Sätze für heute:

  1. Ich bin nicht weniger Mutter, nur weil ich im Rollstuhl sitze.
  2. Mutterschaft darf viele Gesichter haben – auch eins im Rollstuhl.

2 thoughts on “Behindert und trotzdem schwanger

  1. Du wirst die beste Mutter sein.und ihr habt euer Wunder verdient .
    Wir leben in einer modernen Welt, warum sollte man auf eine Familie verzichten, wenn man im Rollstuhl sitzt .
    Es gibt Menschen die besser keine Kinder bekommen sollten ,die nicht im Rollstuhl sitzen

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