Mein heutiger Beitrag behandelt die Frage, was das eigentlich für eine Krankheit ist, deretwegen es diesen Blog überhaupt gibt. Deretwegen ich Reiko, meinen Rollstuhl überhaupt brauche.

Wie heißt diese Krankheit?
Vorneweg: ich werde euch keinen Namen für die Krankheit nennen können. Und auch nicht medizinisch genau die Prozesse beschreiben können, die in meinem Körper anscheinend fehlerhaft ablaufen. Denn damit sind bis dato sogar meine Ärzte überfordert.
Ich kann aber versuchen, euch etwas genauer zu beschreiben, wie sich die Krankheit bei mir äußert, welche Symptome ich habe und zu welchen Einschränkungen diese führen.
Der Artikel heute ist als Zusammenfassung geplant. Auf einzelne Symptome werde ich in nächster Zeit ausführlicher in gesonderten Beiträgen eingehen.
Die Suche nach den richtigen Ärzten
Wie gesagt: was ich habe, weiß niemand so genau. Unbestritten ist mittlerweile aber zumindest, dass wir uns im neurologischen Bereich, genauer gesagt im neuromuskulären Bereich bewegen.
Such dir einen Spezialisten!
Warum ich im vorherigen Satz das Wort „mittlerweile“ benutzt habe? Ganz einfach: viele Monate wusste ich überhaupt nicht, in welche Fachrichtung ich mich orientieren sollte. Ich wusste, ich bin krank. Und ich wusste, ich brauche Hilfe. Und von so vielen Seiten kam der gewollt hilfreiche Ratschlag, ich solle mir einen Spezialisten suchen. Selbstverständlich weiß ich, dass es alle nur gut meinten und mir helfen wollten. Aber – und es ist schwer zu glauben, dass man mir solche einfachen Gedankengänge nicht mal mehr selbst zutraute – bin ich tatsächlich auch schon selbst auf die Idee gekommen, einen Experten aufzusuchen.
Internist? Neurologe? Rheumatologe?

Einen Spezialisten. Nun gut. Aber einen Spezialisten wofür? Bei einer Vielzahl an Symptomen weiß man oft überhaupt nicht wo man anfangen soll zu suchen. Ich rannte (tatsächliches Rennen war zu der Zeit schon nicht mehr möglich) von Pontius zu Pilatus.
Die erste Anlaufstelle ist ja meistens der Hausarzt. Da der mir nicht helfen konnte, überwies er mich zum Internisten. Der Internist schickte mich zuerst zum Neurologen, dann zum Allergologen. Der Allergologe fühlte sich nicht spezialisiert genug, und verwies mich zum Pneumologen. Der Pneumologe wieder zurück zum Neurologen. Der Neurologe (diesmal ein anderer) meinte, es wäre mehr was orthopädisches. Der empfohlene Orthopäde empfahl mir seinerseits den Gang zum Kardiologen. Der schickte mich wieder zum allgemeinen Internisten, der wiederum zum Rheumatologen. Der Rheumatologe wieder zurück zum Neurologen.
Krankenhaus, Klinik, Hospital
Das liest sich jetzt vielleicht wie eine wilde, willkürliche Aufzählung, aber das war mein tatsächlicher Weg. Und dieser endete nicht etwa mit meinem vorherigen Absatz. Denn der mittlerweile 3. Neurologe verwies mich erneut an einen Internisten, der mir direkt wieder eine Einweisung für´s Krankenhaus in die Hand drückte. Was bis dahin – wenn ich mich nicht verzählt habe – die 8. klinische Aufnahme innerhalb von 4 Monaten war.

Letztendlich bin ich im Muskelzentrum gelandet
Nach dem ganzen Hin- und Her, von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik, konnte der internistische Chefarzt des kleinen Krankenhauses, in dem ich nochmal 2 Wochen lang komplett auf den Kopf gestellt worden bin, zumindest die Suche nach der medizinischen Fachrichtung endlich beenden. Nach Auswertung verschiedener Tests und Untersuchungen stellte er 2017 zweifelsfrei fest, dass meine bestehenden Einschränkungen eindeutig einer myopathischen, also einer muskulären Ursache zuzuordnen sind.
Demnach verwies er mich ein letztes Mal an die neurologische Abteilung einer größeren Klinik mit angegliedertem, neuromuskulärem Zentrum. Bei dem Arzt, der mich dort zu meinem ersten Termin bei der Muskelsprechstunde empfangen hat, fühle ich mich bis heute gut betreut und aufgehoben.
Gesicherte Diagnose?
Und der Neurologe konnte dann eine gesicherte Diagnose stellen?
Leider nein. Im Laufe der nächsten Wochen, Monate und Jahre erfolgten noch einige Untersuchungen. Rückblickend gab es eine ganze Reihe von Verdachtsdiagnosen, die teils widerlegt worden sind, und teils einfach nicht zu hundert Prozent bestätigt werden konnten.
Viel öfter als man erwarten würde, liegt die Ursache dafür, dass keine gesicherte Diagnose gestellt werden kann, schlicht und ergreifend an der Tatsache, dass dies für eine ganze Reihe von Erkrankungen überhaupt nicht möglich ist.
Was bei mir gefunden wurde:
- erhebliche selektive Atrophie bestimmter Muskelfasertypen
- Lipid- und Glykogenablagerungen in den Muskeln
- Mitochondriale Veränderungen
- Myogenes Schädigungsmuster in den Muskeln
- Reduzierte und verzögerte Zungenmotilität
Verdachtsdiagnosen
- Myasthenia Gravis (widerlegt)
- Lambert Eaton Syndrom (widerlegt)
- Churg-Strauss-Syndrom (widerlegt)
- MS (widerlegt)
- Morbus Pompe (die bei mir gefundene Gen-Mutation im für den Morbus Pompe verantwortlichen Gen ist in der Literatur noch nicht beschrieben, und wird daher als Variante mit unklarer Signifikanz eingestuft)
- Metabolische Myopathie
- Mitochondriopathie
- Kongenitale Myasthenie
Bisher läuft bei mir alles unter dem unspezifischen Begriff „Myopathie unklarer Genese“.
Es können also weiterhin nur Vermutungen angestellt werden, indem Symptome und Fehlfunktionen mit bekannten Krankheiten verglichen werden.
Welche Symptome sind das?
- Muskelschmerzen am ganzen Körper
- schwächer werdende Muskulatur, trotz intensiver Beübung
- krankhaft früh einsetzendes Überlastungs-Zittern
- Sehstörungen nach Überlastung
- Atembeschwerden bei Überlastung
- viel zu frühe Übersäuerung der Muskulatur
- Muskelzuckungen
- extrem lange Regenerationszeit nach Überlastung (mehrere Tage!)
- Schluckstörungen
- Nervenschmerzen an verschiedenen, wechselnden Stellen
- gestörtes Kälte- und Wärmeempfinden
- feinmotorische Einschränkungen
- Probleme beim gezielten Ansteuern von Muskelgruppen
- Fatigue-Symptomatik
- Wortfindungsstörungen bei Ermüdung
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Infektanfälligkeit
Psychosomatische Einflussfaktoren
Wer in jungen Jahren plötzlich von einer – der breiten Masse nicht bekannten – Krankheit überrumpelt wird, kommt an der Verdachtsdiagnose „somatoforme Störung“ oder „psychosomatische Einflussfaktoren“ kaum vorbei.
Als ich zum ersten Mal einen Arztbrief mit eben dieser Formulierung in meinen Händen hielt, wollte ich erst nicht glauben, was ich da las.
Ich bin kein Simulant!
Ich rief sofort meine Schwester an und tobte los: „Die Ärztin hat sie doch nicht mehr alle! Will die mich jetzt etwa in die Psycho-Schiene schieben? Was will sie mir damit sagen? Dass ich gar nicht krank bin? Dass ich mir das alles nur einbilde? Hat die nicht meine ganzen Krankenunterlagen gelesen? DIE braucht eine Psychotherapie, nicht ich!“
Körper und Psyche arbeiten im Einklang
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Psyche eine große Rolle spielt, wenn es um Gesundheit und Wohlbefinden oder um Krankheit und Schmerzen geht. Sie wird viel zu oft unterschätzt und vernachlässigt.
Ich vertrete allerdings aber auch fest die Ansicht, dass man Unterschiede machen muss zwischen
- Eine körperliche Erkrankung besteht AUFGRUND einer psychischen Störung
- Eine psychische Belastung tritt NACH einer körperlichen Erkrankung auf
Im ersten Fall ist die Psyche die Ursache, und die körperlichen Beschwerden folgen.
Im zweiten Fall ist es umgekehrt. Selbstverständlich macht es etwas mit einem, wenn man von heute auf morgen aus dem Leben gerissen wird. Wenn auf einmal nichts mehr so ist, wie es war. Wenn der Wille zwar da ist, die Dinge unbedingt schaffen zu wollen, der Körper das im gewohnten Maße aber nicht mehr mitmacht. Dann ist auch das Innere belastet, als Folge einer somatischen, also einer körperlichen Erkrankung. Nennt sich Krankheitsbewältigung.
Wenn man sich eingesteht, psychologische Unterstützung zu brauchen, heißt das nicht, dass man „einen an der Klatsche hat“. Das heißt nicht, dass man sich „alles nur einbildet“ und gar nicht krank ist. Aber der Körper ist nun einmal ein Ganzes. Und dieses Ganze besteht nicht nur aus dem fleischlichen Teil, sondern eben auch aus dem geistigen/psychischen.
Einige machen keine Unterschiede – ganz nach dem Motto „Psyche ist Psyche“
Leider tun sich einige Ärzte anscheinend ziemlich schwer damit, zwischen den beiden, oben genannten Möglichkeiten zu unterscheiden. In meinem Fall war es so, dass diese eine Ärztin sich nicht von ihrer festgefahrenen Ansicht abbringen ließ, dass meine Einschränkungen durch psychologische Gespräche zu bessern seien. Sie ließ sich auch nicht von meinen vorangegangenen Reha-Abschlussberichten beeindrucken.
In diesen Berichten hätte sie nämlich lesen können, dass ich das Angebot einer psychologischen Betreuung in beiden Rehas dankend angenommen habe. Sie hätte auch lesen können, dass mir die Gespräche gut getan haben und dass sie für mich und meine Krankheitsbewältigung sehr wichtig waren.
Psychologen sind keine Wunderheiler
Ja, ich bin davon überzeugt, dass das geistige Wohlbefinden einen positiven Effekt auf den Körper hat. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Nach insgesamt 12 Wochen war ich genau an diesem Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass es mir mental zwar wirklich besser ging, aber dass mir ab hier mit Gesprächstherapie nicht mehr geholfen werden konnte. Beide Psychologinnen teilten diese Einschätzung und wir gingen auseinander, mit der Option uns bei Bedarf irgendwann wiederzusehen.
ALLE Möglichkeiten sollten in Betracht gezogen werden
Hätte sich diese Ärztin nicht so in die für sie einzige, mögliche Lösung verbissen, wäre sie beim Durchschauen (es kann nicht mehr als ein Überfliegen gewesen sein) meiner Unterlagen aufmerksamer gewesen, wären ihr wahrscheinlich auch die Ergebnisse anderer Testungen nicht entgangen. Die des ausführlichen neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beispielsweise, das ein anerkannter Psychotherapeut und Psychiater nach 2-tägiger, mehrstündiger Begutachtung für die Krankenkasse erstellt hatte.
Oder die Auswertung ausführlicher, testpsychologischer Diagnostik durch eine renommierte Diplompsychologin.
Meine Beschwerden sind körperlicher Natur
Beide bestätigten mich in dem, was ich instinktiv sowieso wusste. Aber es hätte durchaus ja auch was anderes dabei rauskommen können. Und ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube ein Teil von mir hat sich das zu dem Zeitpunkt vielleicht sogar ein kleines bisschen gewünscht. Denn dann gäbe es vielleicht andere Therapiemöglichkeiten.
Dass ich der Empfehlung, eine Psychotherapie zu machen, nicht nachgekommen bin, liegt nicht daran, dass ich mich gegen irgendwelche Möglichkeiten sperre, die mir helfen könnten. Ich habe das mit meinen Ärzten besprochen, und gemeinsam sind wir zu dem Schluss gekommen, dass dieser Bereich der Problemsuche bereits eingehend genug unter die Lupe genommen worden ist. Und dass derzeit – abgesehen von der einen, nicht ausreichend (man könnte auch sagen: überhaupt nicht) begründeten Meinung dieser einen Medizinerin – nichts dafür spricht, diesen wenig erfolgversprechenden Weg weiter zu verfolgen.
Motto: Weiterhin offen bleiben
Das heißt aber nicht, dass ich es nicht in Betracht ziehe, mich in Zukunft irgendwann nochmal in psychologische Behandlung zu begeben. Ich glaube nämlich nicht, dass das Thema Krankheitsbewältigung eine einmalige Sache ist. Der Alltag hält ständig und überall neue Hürden und Schwierigkeiten bereit, bei deren Aufarbeitung man manchmal einfach Hilfe benötigt.
Lebens- und liebenswertes Leben – auch mit chronischer Erkrankung
Diagnose um jeden Preis?
Ich weiß also immer noch nicht genau was ich habe. Mein Arzt sagt immer, ich solle mich nicht darauf versteifen, in naher Zukunft eine gesicherte Diagnose mit einem mehr oder weniger bekannten Namen in meinen Akten stehen zu haben. Und selbst wenn das der Fall wäre, ich kenne Menschen, denen nach über 20 Jahren ihre angeblich gesicherte Diagnose wieder „entzogen“ worden ist. Und die sind dann wieder genau so weit wie ich jetzt.
Ich habe mich schon öfter gefragt ob es einen Unterschied machen würde, wenn ich eine eindeutige Zuordnung hätte.

In vielen bürokratischen Angelegenheiten wäre es mit Sicherheit hilfreich, aber ich habe die Entscheidung getroffen, dass es für mich persönlich nichts ändern würde. Ich habe die Symptome, ich habe die Einschränkungen, die Krankheit ist ja da, ob mit oder ohne Namen für das Ding.
Genieße das Leben!
Ich bin nicht gewillt, mein ganzes Leben nur in Wartezimmern, Arztpraxen oder Kliniken zu verbringen. Die Krankheit ist zwar ein Teil von meinem Leben, aber sie darf auch nicht mein ganzes Leben einnehmen. Wo immer es irgendwie geht, will ich so „normal“ wie möglich leben, und so viel wie möglich genießen.
In diesem Sinne, möchte ich einen Satz aus meinem zweiten Blogeintrag nochmal wiederholen:
„Akzeptiere, was du nicht ändern kannst!“
Und genieße das Leben so gut es geht. Mit Rollstuhl. Mit Krankheit. Mit was auch immer.
