Wie bereits angekündigt, stelle ich euch heute meine bessere Hälfte vor, meinen Rollstuhl. Also, einen meiner Rollstühle.
Ihr wisst, dass das mit meiner Erkrankung vor ca. 7 Jahren angefangen hat. An der Geschichte dazu werde ich euch in nächster Zeit noch in aller Ausführlichkeit teilhaben lassen. Für heute reicht es, wenn ich euch erzähle, dass ich damals mit meinen 29 Jahren von einem Tag auf den anderen aus dem Leben gerissen worden bin.
Ich wollte mein altes Leben zurück
Ich war krank, lag 5 Monate lang zu Hause und in Krankenhäusern rum. Anschließend versuchte ich mich dreieinhalb Jahre lang mit Hilfe von Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden zurück in mein vorheriges Leben zu kämpfen.
In mein Leben, in dem ich ständig unterwegs war. In dem ich mich drei mal wöchentlich zum Tanztraining in der örtlichen Turnhalle einfand (zum eigenen aktiven Tanztraining und zum Trainieren der Jugendgruppen). Ich wollte zurück in mein Leben, in dem ich nach der Arbeit einfach meine Laufschuhe anziehen konnte um im Wald meinen Kopf freizukriegen. In mein Leben, in dem ich mich spontan mit Freunden in der Kneipe treffen konnte, ohne mich vorher einen Tag lang kräfteschonend darauf vorzubereiten. Und ohne danach 3 Tage lang völlig ausgelaugt und überlastet im Bett liegen zu müssen.
Ich wollte mein Leben ohne chronische Erkrankung wieder. Mein Leben ohne chronisches Erschöpfungssyndrom. Ohne Nervenschmerzen, ohne dauerhafte Muskelschmerzen, ohne Sehstörungen, ohne Mobilitätseinschränkungen, ohne Schluckbeschwerden. Ich wollte wieder Steak essen und Bier trinken, und mich nicht fast ausschließlich von klebriger, süßer Trinknahrung ernähren.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg
Ist überall, wo ein Wille ist, auch ein Weg? Bedauerlicherweise nicht immer. In diesem Fall führten meine Sturheit und meine Zielstrebigkeit leider nicht im gewünschten Maße zum Erfolg.
Durch das lange Liegen und die Immobilität habe ich einiges an Kraft und Ausdauer eingebüßt. Einen Teil konnte ich durch Kontinuität und Ehrgeiz in ambulanten Therapien und 2 stationären Rehas wieder herstellen. Aber irgendwann hat mein Körper dem Fortschritt einen Riegel vorgeschoben. Es ging nichts mehr voran.
Aber es ging nicht nur nichts mehr voran. Relativ schnell kamen immer mehr Symptome hinzu. Es wurde immer klarer, dass etwas mit meinen Muskeln nicht stimmt. Die wurden nämlich trotz intensiver Beübung schwächer statt stärker.
Rollator? Rollstuhl? Hilfsmittel? Sowas brauche ich nicht!


Die ersten Versuche von meinen Therapeuten, meine Akzeptanz für einen Rollator oder Rollstuhl zu gewinnen, habe ich vermutlich nicht mal mitbekommen. Das war so weit weg für mich. Unvorstellbar und absolut nicht im Bereich des Notwendigen.
Irgendwann setzt aber meine Erinnerung an meine abfälligen Gedanken ein, die ich hatte wenn ich in Reha-Kliniken oder Therapiepraxen gefragt wurde, welche Hilfsmittel ich nutze um meine Einschränkungen auszugleichen. „Äh…keine! Ich brauche doch keine Hilfsmittel. Ja, ich kann vieles nicht mehr so wie früher, aber das ist nun mal so. Spazieren gehen? Geht halt nicht mehr, weil mich meine Beine nur noch wenige Meter langsam und mit Pausen tragen können. Und weil ich danach total am Ende bin mit meinen Kräften. Ich kann´s nicht ändern. Rollatoren und Rollstühle sind was für alte Omas. Ich brauche so etwas ganz bestimmt (noch) nicht.“
Akzeptiere, was du nicht ändern kannst!
Aber ändere, was du ändern kannst!
Es klingt vielleicht absurd, aber manchmal habe ich mir gewünscht, gar nicht mehr laufen zu können. Nicht weil ich nicht mehr laufen können wollte, sondern weil mir damit die Entscheidung abgenommen worden wäre.
Hilfsmittel sind natürlich nicht nur was für alte Omas. Heute weiß ich, dass es völlig egal gewesen wäre, wer, wann und wie oft mich dazu hätte drängen wollen. Ich musste selbst an den Punkt kommen, an dem ich bereit war, mich darauf einzulassen.
Akzeptieren, was man nicht ändern kann. Und sich auf Dinge konzentrieren, die man ändern kann! Ich versuche danach zu leben. Meistens gelingt es mir. Und wenn es doch mal in den Hintergrund rückt, habe ich zum Glück einen Menschen an meiner Seite, der mich immer wieder daran erinnert.
In diesem Fall konnte ich was ändern. Und das habe ich dann auch getan.
Und dann kam Reiko

Reiko und ich sind nun seit knapp 3 Jahren ein Paar. Der eigentliche, innerliche Kampf, es einfach mal auszuprobieren, dauerte nicht länger als 4 Wochen. In dieser Zeit habe ich viel mit Gleichgesinnten geredet, habe mir deren Geschichten erzählen lassen, habe viel geweint und gezweifelt.
Am Ende fiel mir die aktive Entscheidung jedoch kein bisschen schwer. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt einfach, dass es jetzt an der Zeit ist, und dass das nichts schlimmes ist. Ein Rollstuhl ist keine Strafe. Es heißt nicht umsonst HILFSmittel. Und als genau das konnte ich es ab dann auch sehen. Ein Mittel, das dazu da ist, mir zu helfen.
Ich erinnere mich ganz genau an das Glücksgefühl, nach 4 Jahren wieder am Flussufer zu sitzen. An meinem Lieblingsplatz, der lange Zeit außerhalb meiner fußläufigen Erreichbarkeit lag. Von diesen Momenten gab es ganz viele. Reiko erweiterte ganz plötzlich meinen Bewegungsradius wieder, der in den vergangenen Jahren enorm geschrumpft war.
Reiko und Rosalie – ein Traumpaar

Anfangs sollte mein neuer Gefährte mir nur auf längeren Strecken zur Seite stehen. Alleine komme ich zwar trotzdem nicht vom Fleck, weil für meine Verhältnisse dafür viel zu viel Kraft erforderlich ist, aber zusammen mit Familie und Freunden ermöglicht er mir wieder ganz normale, für andere selbstverständliche Dinge.
Mittlerweile käme ich ohne ihn überhaupt nicht mehr zurecht. Ich akzeptiere ihn nicht nur, er ist mein Freund, ein unverzichtbarer Teil von mir.
Turbo-Reiko


Mein Rollstuhl ist nicht immer im nackten Zustand unterwegs, so wie ihr ihn oben seht. Draußen zeigt er sich fast immer getunt. In Kombination mit meinen motorunterstützten, restkraftverstärkenden Antriebsrädern wird er von uns nur Turbo-Reiko genannt. Turbo-Reiko verschafft mir – und meinem Partner – in ganz ganz vielen Situationen eine riesengroße Erleichterung.
Waldwege

Waldwege zum Beispiel sind meistens nicht gerade rollstuhlfreundlich. Ich bin sehr gerne draußen unterwegs. So oft es geht und so oft meine körperliche Verfassung es zulässt, erkunden wir deshalb die unterschiedlichsten Gelände.
Es gibt einige ausgeschriebene barrierefreie Wanderwege in Deutschland. Wie zum Beispiel den Buchwaldweg in Beckingen im Saarland. Hier habt ihr es mit einem gut befestigten, ca. 3 km langen Rundwanderweg zu tun. Für Kinderwägen, Rollatoren, Rollstuhlfahrer mit starken Armen und elektrische Rollstühle ist dieser meiner Meinung nach gut zu befahren. Für mich, mit meiner Muskelschwäche, war er beim ersten Versuch mit dem Aktivrollstuhl leider unbezwingbar. Beim zweiten Versuch mit Turbo-Reiko jedoch kein Problem.
Unebenheiten

Meine Turbo-Räder bewältigen auch Schotter- und Kieswege sowie kleinere Schlaglöcher.
Auch den Charme der meisten Altstädte mit ihren typischen Kopfsteinpflastern kann ich mit ihnen wieder genießen.

Steigungen
Schwierig wird´s bei Steigungen. Kleinere Anstiege haben wir meistens ganz gut im Griff. Wird das Gefälle allerdings zu groß, wird es problematisch. Ein solches zu großes Gefälle fordert von meiner Begleitperson auch beim Verlassen meines Zu Hauses permanent sehr viel. Mit einer Steigung von über 12 Prozent lässt sich der Berg, an dem wir wohnen, nicht unbedingt als die behindertenfreundlichste Wohngegend bezeichnen. Das schaffen sogar meine Turbos nicht. Umziehen ist keine Option. Deshalb suche ich immer noch nach Möglichkeiten auch dieses Hindernis in Zukunft meistern zu können.
Das Leben ist schön – auch mit Rollstuhl


Auch wenn immer noch nicht alle Hindernisse für uns überwindbar sind, meistens lässt sich doch irgendeine Lösung finden.
Lasst euch nicht entmutigen. Ich weiß, dass das manchmal leichter gesagt als getan ist. Aber das Leben ist schön, auch mit Rollstuhl.