Mit Rollstuhl oder ohne?
Die Situation, die ich im folgenden beschreibe, trug sich zu, als ich meinen Rollstuhl zwar schon hatte, aber ihn nicht immer dabei hatte und nur für längere Strecken nutzte. An diesem beschriebenen Tag war er natürlich zu Hause.
Heute käme ich nicht mehr in solch eine Situation, denn ich fahre nirgends mehr ohne ihn hin. Mein Freund fragt manchmal: „Sollen wir Reiko mitnehmen? Du steigst ja eigentlich nicht aus.“ Meine Antwort lautet immer ja. Denn ist er nicht da, fühle ich mich hilflos und verlassen.
Wie behindert bin ich eigentlich?
Parkplatzsuche
6 Runden habe ich mit meinem auffällig bunten Kleinwagen bereits über den großen Parkplatz gedreht. Es kann doch nicht sein, dass hier vorne wirklich niemand rausfährt. Ah, da hinten. Endlich. Ich setze den Blinker, biege links ab und hoffe, dass ich als erste an der frei gewordenen Parklücke ankomme. Geschafft. Ich parke ein, stelle den Motor ab und schnappe mir mein Portemonnaie, das neben mir auf dem Beifahrersitz liegt.
So weit kann ich nicht mehr laufen
Die linke Hand schon am Türgriff, bereit auszusteigen, stocke ich. Ich habe meine neue Situation noch nicht genug verinnerlicht, als dass ich mir vorher Gedanken darum gemacht hätte. Ich scanne die Entfernung, die ich fußläufig zurücklegen müsste, um die anvisierte Bäckerei zu erreichen. 50 Meter, schätze ich. Immerhin gibt es keine Stufen vor der Tür. Ich überlege ob ich den Versuch wagen soll. Ich könnte es schaffen. Aber ich muss ja auch wieder zurück. Und was, wenn ich meine Beine dann wieder zu sehr überstrapaziert habe?
Dann müsste ich mein Auto stehen lassen und mein Schwesterherz ein weiteres mal belämmern mich abzuholen. Denn das Risiko mich in einem geschwächten Zustand selbst hinter´s Steuer zu setzen, gehe ich nicht ein. Ich bin froh, dass ich kurze Strecken noch selbst fahren kann und darf, und diesen Luxus möchte ich mir auch so lange wie möglich bewahren. Meine Schwester wird nie müde mir zu versichern, dass das kein Problem ist und dass sie das gerne für mich tut.
Dann eben nicht
Aber heute nicht. Ich schleudere mein Portemonnaie wieder auf den Beifahrersitz, etwas zu energisch, so dass es zwischen Sitz und Beifahrertür landet. Was für ne Scheiße. Was ist aus mir geworden, dass ich mir nicht mal mehr selbst ein Brot kaufen kann? Wütend auf meinen Körper und überfordert mit der Situation drehe ich den Schlüssel im Zündschloss um, versuche noch ein letztes Mal mein Glück in der ersten Parkreihe und denke den Bruchteil einer Sekunde darüber nach, ob ich mich für 2 Minuten auf den extra gekennzeichneten Parkplatz direkt vor´s Geschäft stellen soll. Schließlich bin ich ja auch behindert. Ich verwerfe den Gedanken direkt wieder und mache mich auf den Heimweg.

Der blaue Parkausweis
Ich brauche einen Behinderten-Parkausweis
Vielleicht sollte ich doch nochmal über den kürzlich erst erhaltenen Ratschlag nachdenken, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu beantragen. Denn die 70 und das G, die momentan noch auf der Rückseite meines grün-rosa Schwerbehindertenausweises zu lesen sind, reichen nicht aus, um den blauen EU-Parkausweis zu beantragen. Denn nur mit diesem europaweit geltenden, blauen Behinderten-Parkausweis darf man öffentliche Behindertenparkplätze mit Rollstuhl-Symbol nutzen. Heute war nicht das erste Mal, dass ich ihn wirklich hätte brauchen können.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Zu Hause lese ich mir nochmal die Voraussetzungen durch, die gegeben sein müssen um einen Antrag bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde zu stellen. Ich bräuchte das Merkzeichen AG für „außergewöhnlich gehbehindert“ in meinem Schwerbehindertenausweis. Das müsste ich zuerst mal beim Versorgungsamt beantragen. Ob ich das bekäme? Keine Ahnung. Einen Versuch ist es wert, mehr als ablehnen können sie es ja nicht.
Die anderen Einschränkungen, die dazu berechtigen, den blauen Parkausweis zu erhalten, sind für mich nicht relevant. Wenn es euch betrifft, könnt ihr alle Voraussetzungen zum Beantragen eines Parkausweises hier nachlesen.
Der orangene Parkausweis
Gibt es noch andere Möglichkeiten der Parkerleichterung?
Ja, die gibt es. Neben dem blauen Parkausweis gibt es noch den orangenen. Dieser berechtigt allerdings NICHT zum Parken auf öffentlichen Behinderten-Parkplätzen. Im Gegensatz zu dem oben beschriebenen blauen, ist der orangene auch nicht in ganz Europa, aber immerhin deutschlandweit gültig.
Ihr fragt euch, was ihr mit dem „kleinen, orangen Bruder“ sollt, wenn ihr damit nicht mal die heiß begehrten Parkplätze nutzen dürft? Naja, einige, nicht zu unterschätzende Privilegien habt ihr damit schon, sonst bräuchte es ihn ja nicht zu geben.
Er berechtigt z.B. zum zeitlich begrenzten Parken im eingeschränkten Halteverbot, auf Anwohnerparkplätzen, im Zonenhalteverbot, in verkehrsberuhigten Bereichen und auf manchen privaten Behindertenparkplätzen. Außerdem darf in bestimmten Bereichen die zugelassene Parkdauer ganz offiziell überschritten werden. Und die Parkgebühren an Parkscheinautomaten spart ihr euch damit auch.
Hier findet ihr nicht nur die Bedingungen zum Erhalt einer der beiden Ausweise, sondern auch noch Tipps zu regionalen Besonderheiten und individuellen Ausnahmeregelungen für Parkerleichterungen.
Behindert genug!
Bin ich behindert genug?
Offensichtlich schon. Nach den ganzen Horror-Geschichten, die ich so gehört habe, bin ich nicht wenig überrascht, als ich kaum 4 Wochen nach Antragstellung Post vom Versorgungsamt bekomme. Der kleine Standard-Briefumschlag enthält neben einem Schreiben meinen neuen Schwerbehindertenausweis. Wie es aussieht, haben die aktuellen Arztbriefe und Untersuchungsergebnisse, die ich dem Antrag beigelegt hatte, ausgereicht um meiner Akte und somit auch meinem Ausweis ein neues Merkzeichen hinzuzufügen.
Parkausweis? Kein Problem.
Nicht mal 7 Tage nach dem Brief vom Versorgungsamt, kommt auch der Brief von der Straßenverkehrsbehörde. Und damit auch mein neuer Parkausweis. Die Freude ist groß, denn in den letzten Monaten habe ich mir diesen Moment unzählige Mal sehnsüchtig herbeigewünscht.

Der wird mir das Leben erleichtern.
Wird er auch.
Aber erst später.
Die Überwindung ist groß
Warum erst später? Weil er die kommenden 3 Monate nämlich erstmal ungenutzt im Handschuhfach vor sich hin vegetieren wird. Zu groß ist die Überwindung, ihn tatsächlich dafür einzusetzen, wofür er gedacht ist. Selbst an Tagen, an denen ich krampfhaft meine Tränen zurückhalten muss, weil jeder Schritt eigentlich schon ein Schritt zu viel ist. Weil jeder Schritt zusätzliche Schmerzen in meinen Oberschenkeln bedeutet, zusätzliche Säure, die meine Muskeln von innen zu verbrennen scheint.
Und nicht nur, wenn ich mal wieder über meine Grenzen hinausgehe indem ich zu Fuß bewältige, was ich eigentlich gar nicht mehr bewältigen kann. Selbst wenn Reiko mit an Bord ist, überfordere ich entweder meine Armmuskeln oder meine Begleitperson unnötigerweise.
Unangebrachte Schuldgefühle
Ich fühle mich schuldig, den Parkausweis zu benutzen. Warum? Keine Ahnung. Es gibt keinen Grund dafür, er wurde mir rechtmäßig zugesprochen. Und ich brauche ihn ja auch. Und trotzdem überwiegen die Einwände in meinem Kopf: „Manchmal kann ich ja noch ein paar Meter laufen. Was, wenn jetzt jemand hier parken möchte, der sich noch schlechter bewegen kann als ich? Dann habe ich dem den Parkplatz geklaut.“ Oder: „Wenn wir den Rollstuhl dabei haben, kommt es auf ein paar Meter nicht an, dann können wir auch einen regulären Parkplatz nehmen.“
Soll ich den jetzt wirklich benutzen?
Ich erinnere mich gut daran, als unser Auto zum ersten Mal dann tatsächlich auf einem Behinderten-Parkplatz zum Stehen kommt. Meine Schwester sitzt auf dem Fahrersitz. Sie fragt: „Hast du den Parkschein dabei?“ Sie beobachtet wie ich ihr den Umschlag zögerlich reiche. Sie weiß genau, was in meinem Kopf vorgeht. Während sie meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum hievt, wäscht sie mir den Kopf: „Rosalie, du bist behindert. Wir dürfen hier parken. Außerdem haben wir einen Termin und ich kann dich nicht noch 2 Kilometer durch die halbe Stadt schieben.“
Mein „Ja, aber…“ verkneife ich mir.
Ich habe meinen Frieden damit gemacht
Es fühlt sich noch ein paar mal komisch an, vielleicht auch weil es eine Sache ist, die mich schon wieder einen Schritt kränker, behinderter, eingeschränkter macht. Aber mittlerweile ist es ok. Wenn es gesonderte Parkplätze gibt, auf denen wir mit dem Behinderten-Parkausweis parken dürfen, dann benutzen wir die auch. Denn dafür sind sie schließlich da.
Mit der Zeit hat sich nun auch die gewünschte Erleichterung eingestellt, ganz ohne schlechtes Gewissen. So wie es eigentlich auch geplant und gedacht war.